Die Rückkehr
der Diemel
Ein Fluss im Korsett
So wie viele Flüsse in Deutschland glich die Diemel vor der Renaturierung eher einem Kanal als einem Fluss: Begradigt, befestigt und eingezwängt zwischen landwirtschaftlich und industriell genutzten Flächen. Ihr Lauf starr, ihre Ufer fixiert, ihre Dynamik verloren. Stillwasserzonen, Nebengerinne und Auen fehlten fast vollständig. Die Folge: Ein ökologisch geschwächter Fluss, strukturell verarmt, biologisch ausgedünnt und anfällig für Hochwasser wie für Trockenzeiten.
Gerade, verbaut und ohne Struktur: Der ursprüngliche Verlauf der Diemel vor Beginn der Renaturierung.
Details zur Diemel:
Wesentliche Aspekte der Veränderung durch den Menschen:
Begradigungen und Sohlverbau
Die Diemel war vor der Renaturierung über weite Strecken begradigt. Die Fließgeschwindigkeit war erhöht, und die natürliche Sohlstruktur war durch Verbau stark verändert.
Verlust der Auen und Überflutungsflächen
Durch Begradigungen und landwirtschaftliche Nutzung wurden viele Auen vom Fluss getrennt. Der natürliche Wasserrückhalt ging verloren, sodass Hochwasser schneller abfließt und Feuchtlebensräume verschwinden.
Uferbefestigungen und enge Gewässerprofile
Steinpackungen und Befestigungen fixierten die Ufer. Dadurch wurde der Fluss in ein enges, technisches Profil gezwängt.
Fehlende Stillwasserzonen und Nebengerinne
Natürliche Seitenarme, Flachwasserbereiche und Nebengerinne waren weitgehend verschwunden. So fehlten strukturreiche Zonen, die für viele Arten essenziell sind.
Aufsicht des Abschnittes vor der Renaturierung
Das amtliche Luftbild von 2021 zeigt die Diemel, wie sie vor Beginn der Renaturierung verlief.





Papierfabrik
Die im Renaturierungsabschnitt gelegene Papierfabrik nutzt Wasser aus der Diemel für die Produktion ihrer Hygieneprodukte, bereitet es anschließend auf und führt es wieder in das Gewässer zurück. Jede Form industrieller Wasserentnahme und Wiedereinleitung stellt grundsätzlich eine Belastung für ein Flusssystem dar, weil sie in natürliche Stoffkreisläufe und ökologische Prozesse eingreift.
Gleichzeitig eröffnet die direkte Lage eines solchen Unternehmens am Gewässer besondere Möglichkeiten. Die WEPA Hygieneprodukte GmbH stellt bereits heute Flächen für die Renaturierung zur Verfügung und trägt damit konkret zur ökologischen Aufwertung der Diemel bei. In Zukunft könnte diese Zusammenarbeit weiter vertieft und aus der Renaturierung so ein Modellprojekt für unternehmerisches Engagement "vor der eigenen Haustür" machen.
Verlust der Auenwälder
Im gesamten Renaturierungsabschnitt reicht der Wald nur noch an wenigen Stellen bis an die Diemel heran. Dabei gehören Auenwälder zu den ökologisch wertvollsten Lebensräumen eines Flusses. Sie stabilisieren die Ufer, spenden Schatten und kühlen das Gewässer, liefern Laub und Totholz als Lebensraum und Nahrungsquelle und schaffen Rückzugsräume bei Hochwasser. Wo der Wald den Fluss direkt begleitet, entsteht ein eng verknüpftes System, das Gewässerstruktur und Artenvielfalt deutlich stärkt.
Begradigung und Verlegung an den Talrand
So wie hier wurde die Diemel im Zuge früherer Ausbauphasen in vielen Bereichen an den Talrand verlegt, um mehr Fläche für die landwirtschaftliche Nutzung zu gewinnen. Durch diese Verlagerung verlor der Fluss einen großen Teil seines natürlichen Entwicklungsspielraums. Mäander, Nebengerinne und Überflutungsflächen gingen verloren, die Gewässerstruktur verarmte und typische Lebensräume für Fische, Wirbellose und Ufervegetation verschwanden.
Zusätzlich ist die Belastung durch landwirtschaftliche Nähr- und Schadstoffe in solchen Bereichen oft erhöht: Dünger und Pflanzenschutzmittel können über Abschwemmung oder Drainage ins Gewässer gelangen und die Wasserqualität sowie ökologische Prozesse beeinträchtigen. Insgesamt führt die Kombination aus begradigtem Verlauf, eingeschränkter Aue und stofflichen Belastungen zu einem geschwächten Flussökosystem, das weniger widerstandsfähig gegenüber Hochwasserereignissen, Klimastress und ökologischen Störungen ist.
Spuren des ehemaligen Flusslaufs
In der Geländeschummerung wird der ehemalige Lauf der Diemel sichtbar. Die feinen Höhenlinien markieren alte Prallhänge, ehemalige Mäander und frühere Überflutungsflächen, die heute überprägt oder landwirtschaftlich genutzt sind. Solche Reliefformen zeigen, wie dynamisch der Fluss einst war und welche Räume er im natürlichen Zustand regelmäßig einnahm.
Auswirkungen der menschlichen Eingriffe für das Ökosystem:
Strukturell stark verändert
Strukturgütekartierungen stuften den Abschnitt mit den Klassen 4–5 („deutlich bis stark verändert“) ein. Damit fehlten die Grundlagen für eine stabile, artenreiche Gewässerdynamik.
Eingeschränkte Lebensräume
Der Habitatindex lag im Mittel bei 3,3, was einem „mäßigen Zustand“ entspricht. Entscheidende Zonen für Jungfische, Insektenlarven oder Brutvögel fehlten vollständig.
Fehlende Selbstregeneration
Es fehlte an Erosions- und Anlandungsprozessen, die sonst für natürliche Erneuerung sorgen. Der Fluss hatte seine Eigendynamik verloren und damit seine Fähigkeit, sich selbst zu stabilisieren und zu entwickeln.
Verschwundene Leitarten
Die fischökologische Untersuchung zeigte ein deutlich gestörtes Artenspektrum. Typische Leitarten wie Äsche, Elritze und Schmerle wurden nicht oder nur vereinzelt nachgewiesen. Das Ergebnis: eine Bewertung der Fischfauna im Bereich „unbefriedigend bis schlecht“.
Erhöhtes Risiko durch Hochwasser und Dürren
Durch die Begradigung und die Abtrennung der Auen konnte die Diemel kaum noch Wasser zurückhalten. Bei Starkregen floss es rasch ab, bei Trockenheit fehlten Rückzugsräume und Speicher. Ein Problem, das durch den Klimawandel weiter verschärft wird.
Kein Masterplan,
kaum Budget, keine Grenzen.
Was als kleine Initiative begann, entwickelte sich zu einem spannenden Beispiel für eigenverantwortliche Gewässerentwicklung. Ohne großes Budget, aber mit Fachwissen, Ausdauer und Experimentierfreude startete das Team des planar e.V. die Renaturierung der Diemel.
Ein Prozess in Bewegung
Grundlage der Renaturierung ist kein fester Ablaufplan, sondern ein Lernprozess. Jede Maßnahme basiert auf Beobachtung und Untersuchung des Gewässers. Die Eingriffe werden im Gelände ausgewertet und in den nächsten Schritt überführt. Dieses iterative Vorgehen erlaubt es, auf natürliche Entwicklungen zu reagieren statt sie zu steuern. Nach jeder Maßnahme folgt eine Phase des Wirkenlassens: Zeit, in der der Fluss durch seine Eigendynamik selbst gestaltet. So wird Renaturierung zum Dialog zwischen Mensch und Natur.
Elektrobefischung ermöglicht eine präzise und schonende Erfassung der Fischfauna, ohne den Tieren zu schaden. Die Fische werden kurz betäubt, gemessen und unmittelbar wieder freigelassen. So lassen sich Arteninventar und Bestandsentwicklung erfassen, um Renaturierungsmaßnahmen fundiert vorzubereiten und ihren Erfolg später zu überprüfen.
Wesentliche Ziele der Renaturierung
Die Renaturierung der Diemel verfolgt ein klares Ziel: dem Fluss seine natürliche Eigendynamik zurückzugeben und damit ökologische Funktionen, Artenvielfalt und Resilienz zu stärken. Im Mittelpunkt steht nicht die technische Planung, sondern das Verständnis des Gewässers als lebendiges System, das sich mithilfe menschlicher Unterstützung, letztlich jdeoch aus eigener Kraft entwickeln kann.
Wiederherstellung der Eigendynamik
Erhöhung der Strukturvielfalt
Förderung der Biodiversität
Erhöhung des Wasserrückhalts
Öffnung der Auenräume
Vom Eingriff zur Eigendynamik
Entlang des Abschnitts wurden die Gewässerstrukturen mit größeren maschinellen und gezielten, händischen Eingriffen verbessert. Der Fluss wurde aufgeweitet, neue Läufe wurden angelegt, Ufer modelliert, Kies und Totholz eingebracht und Stillwasserbereiche geschaffen.
Die Bereiche vor und nach der Renaturierung
Der Vergleich des amtlichen Luftbilds von 2021 mit einem neuen, hochauflösenden Ortho-Foto zeigt deutlich, wie stark sich das Gewässer durch die Renaturierungsmaßnahmen verändert hat.








Vergleich alter / neuer Flusslauf
Das Ökosystem kommt wieder zu Kräften.
Die Maßnahmen zeigen Wirkung: Der Fluss ist breiter, vielfältiger und lebendiger geworden. Zwischen Kiesbänken, Inseln und Stillwasserzonen entstehen neue Lebensräume, Tiere und Pflanzen kehren zurück.
Messbare Erfolge der Renaturierung:
Verbesserte Gewässerstruktur
Die morphologische Bewertung der Diemel steigt von Klasse 4 („deutlich verändert“) auf Klasse 2–1 („gering bis unverändert“). Neue Laufkrümmungen, Inseln und Kiesbänke sorgen für natürliche Strömungsvielfalt und mehr Habitatdifferenzierung.
Größere Wasserflächen
Die Gewässeroberfläche hat sich mehr als verdoppelt, von rund 900 m² auf über 2.200 m² pro 100 m Flusslänge. So entstehen Rückzugsräume für Wasserorganismen und Puffer bei Hochwasser.
Zunahme der Habitatstrukturen
Die Zahl der erfassten Lauf-, Sohl- und Uferstrukturen stieg um 72%. In einem Abschnitt verdreifachte sich die Strukturvielfalt von 12 auf 38 Einheiten.
Rückkehr typischer Leitarten
Leitarten wie Äsche, Elritze und Schmerle werden wieder nachgewiesen. Das ist ein deutliches Signal für die ökologische Aufwertung und die verbesserte Durchwanderbarkeit des Flusses.
Besserer Hochwasserrückhalt
Während der Hochwasserereignisse Ende 2023 hielt der renaturierte Abschnitt das Wasser deutlich länger zurück als die begradigten und verbauten Bereiche. So zeigte sich erstmals die hydrologische Wirksamkeit der neuen Flussmorphologie.
Was wir aus der Renaturierung der Diemel lernen:
Kleine Maßnahmen, große Wirkung
Wenn Planung, Umsetzung und Beobachtung eng verzahnt sind, lassen sich auch mit begrenzten Mitteln spürbare ökologische Verbesserungen erzielen
Iteratives Arbeiten stärkt die Qualität
Renaturierung ist kein einmaliger Eingriff, sondern ein fortlaufender Lernprozess. Beobachten, anpassen und wirken lassen führt zu nachhaltiger Entwicklung.
Eigendynamik ist der Schlüssel
Die besten Ergebnisse entstehen, wenn der Fluss wieder selbst gestalten darf. Eingriffe sollen Impulse setzen, keine Formen vorgeben.
Die Diemel als Modell-Fluss?
Die Erfahrungen an der Diemel zeigen, dass Renaturierung nicht unendlich teuer und aufwändig sein muss, um große Wirkung zu entfalten. Mit lokalem Wissen, einfachen Mitteln und einer offenen Haltung gegenüber natürlichen Prozessen lässt sich ökologische Regeneration schnell und kosteneffizient in Bewegung setzen. Der iterative Ansatz – beobachten, planen, umsetzen, wirken lassen – kann als Modell für viele andere Flüsse dienen.
Dezentrale Renaturierung als Schlüssel für die ökologische Trendwende.
Wenn mehr Flüsse so renaturiert werden wie die Diemel, entsteht ein Netz lebendiger Gewässer, das ganze Landschaften verbindet. Überall dort, wo Wasser wieder Raum bekommt, entstehen Rückzugsräume für Arten, Feuchtzonen, die Wasser speichern, und Böden, die CO₂ binden. Kleine Maßnahmen können sich zu einer großen Bewegung addieren, die von Gemeinden, Vereinen, Planer:innen und Menschen getragen wird, die ihre Umgebung besser verstehen lernen.
Ein solcher Wandel würde nicht nur die Flüsse verändern, sondern auch unseren Blick auf sie. Aus technischen Infrastrukturen werden wieder natürliche Lebensadern. Statt auf Kontrolle setzen wir auf Kooperation mit natürlichen Kräften. Jede Region könnte ihren Beitrag leisten, angepasst an lokale Bedingungen, aber verbunden durch das gemeinsame Ziel: Flüsse zu Lebensräumen zu machen, die Vielfalt, Klimaresilienz und Lebensqualität fördern.
Die Diemel zeigt, dass dieser Weg möglich ist. Sie ist nicht das Ende einer Entwicklung, sondern der Anfang einer neuen Art, Landschaften und ihren unschätzbaren Wert zu denken: Dezentral, lernend und als Zusammenspiel mit der selbstheilenden Kraft der Natur.
Wege, die Renaturierung der Diemel zu unterstützen:
Wir stehen erst am Anfang. Nach intensiver ehrenamtlicher Vorarbeit beginnt die Renaturierung jetzt, ihre ganze Wirkung zu entfalten. Genau hierin liegt eine enorme Chance: Diese Entwicklung weiterzuführen und das Wissen auch auf weitere Flüsse übertragen. Wir suchen Partner:innen, die diese Chance mit uns ergreifen wollen!
Für Wissenschaft und Fachwelt
Die Renaturierung der Diemel bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für Forschung und Praxis, von Abschlussarbeiten und Untersuchungen bis hin zu Fachinputs, Vorträgen, Führungen und der Mitarbeit an neuen Projekten.
Jens Eligehausen
Für Unternehmen
Unternehmen können das Projekt über Spenden, Sponsoring oder eigene Ausgleichsmaßnahmen unterstützen. Ausgleichsmaßnahmen werden gemeinsam mit dem Projektteam geplant und umgesetzt.
Mira Hennerkes
Für das Projekt spenden
Jede Maßnahme an der Diemel wirkt direkt. Mit deiner Spende stärkst du die nächsten Schritte der Renaturierung und hilfst, den Fluss nachhaltig zu revitalisieren. Unterstütze die Entwicklung genau dort, wo sie jetzt am meisten bewegt.
Planungsnetzwerk für nachhaltige Regionalentwicklung (planar) e.V.
IBAN: DE17 4306 0967 1293 835400
BIC: GENODEM1GLS
Stichwort: Diemel
GLS Bank
Presse- & Medienanfragen
Wenn du über die Renaturierung berichten oder Luftbilder, Karten und Visualisierungen nutzen möchtest, unterstützen wir dich gerne mit Informationen und geeignetem Material.
Johann Taillebois
Kontakt für Kommunen
Wenn du dich zu einer möglichen Zusammenarbeit austauschen möchtest oder ein eigenes Renaturierungsprojekt planst, freuen wir uns über den Kontakt!
Mira Hennerkes






















